Brief - Antwort Tauss - Antwort Kaspareit - Antwort Gerhard


Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, versandt während der NATO-Luftangriffe im Mai 1999 mit den Unterschriften von fünfzig deutschsprachigen AEGEE-Mitgliedern

"Ich hasse Euch nicht! Ich hasse die Albaner nicht!Ich hasse meinen Präsidenten Slobodan Milosevic, der mich dazu bringen will jeden zu hassen ausser ihn selbst... Ich will nicht töten - und ich will nicht getötet werden!!! Schon gar nicht, wenn mein Präsident daneben sitzt und zuschaut... "

Dieser Auszug stammt aus einer E-Mail von Boki. Er studiert Informatik in Belgrad und ist wie wir, die Verfasser dieses Briefes, Mitglied der europäischen Studentenvereinigung AEGEE. Seit 1996 sind in unserem europaweiten Netzwerk auch serbische Studenten aktiv. Die Lage, in der sich unsere AEGEEler in Belgrad, Novi Sad und Nis derzeit befinden hat uns bewogen, Ihnen diesen Brief zu schreiben.

Viele von uns haben Bekannte oder Freunde dort. Wir haben uns kennengelernt auf der Summer University in Belgrad 1998, dem "Ethnic Minorities in Vojvodina" Kongress im April 1998 in Novi Sad, oder z.T. auch erst vor zehn Wochen auf dem AEGEE-Presidents Meeting in Novi Sad. Bei diesen Gelegenheit haben wir Serben getroffen, deren Zivilcourage und politisches Engagement unseren höchsten Respekt verdienen. Sie gehören teilweise schon jahrelang zu denen, die sich mit großem persönlichem Risiko gegen die Willkür des Milosevic-Regimes zur Wehr setzen. Ihre Aktionen richteten sich z.B. gegen die Änderungen des Presse- und Universitätsgesetzes; im vergangenen Sommer führten sie eine grosse Anti-Kriegs-Kampagne durch, mit der die Öffentlichkeit über die drohende Eskalation der Lage im Kosovo aufgeklärt wurde.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie es in der Republik Jugoslawien und auf dem gesamten Balkan in einem Jahr, in fünf oder zehn Jahren aussehen könnte? Wir glauben, daß ein stabiler Frieden ohne die pro-westliche, demokratische Opposition nicht möglich sein wird.

Es stimmt uns sehr bedenklich, dass die serbischen Milosevic-Gegner derzeit zwischen zwei Fronten stehen - bedroht einerseits (wie schon seit langem) durch das serbische Regime, und seit kurzem auch noch von den NATO-Bomben. Die Kritiker sind jetzt vollends zum Schweigen verurteilt:

Versammlungsverbot, Wiedereinführung der Todesstrafe, Ausrufung des Kriegszustandes; seit Beginn der Luftangriffe haben die Oppositionellen zudem jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren - Milosevic Propaganda von einer "westlichen Verschwörung gegen die Serben" erscheint wieder glaubwürdig. Viele sind demotiviert - sie werden von den Ländern beschossen, nach deren Vorbild sie ihr eigenes umgestalten wollten.

Wir bitten um folgendes:

  1. Bedenken Sie bei Ihren Entscheidungen, die den Jugoslawien-Konflikt betreffen, auch immer die Auswirkungen auf die serbischen Oppositionellen.
  2. Knüpfen Sie direkte Kontakte zu Milosevic-Gegnern in Serbien, erkennen Sie deren Engagement, deren Leistungen an. Helfen Sie mit, diese Leute in die internationale Gemeinschaft zu integrieren, und so ihre Position zu stärken. Entwickeln Sie mit ihnen gemeinsam Szenarios für die Zeit nach den Angriffen.

Wir wissen aus unseren E-Mail-Kontakten, dass selbst ein einfaches Unterstützungsschreiben diesen Leuten im Augenblick sehr viel bedeutet.

Wir würden uns freuen, wenn Sie unser Anliegen fördern.


Von:    "Joerg Tauss", INTERNET:joerg@tauss.de
Datum:    08.06.99 23:08

Betreff: Re: Offener Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren,

die von Ihnen erhobenen Forderungen entsprechen voellig der Politik der
Bundesregierung. Selbstverstaendlich wird es ohne eine Staerkung der
demokratischen Opposition - aehnlich der Situation im
Nachkriegsdeutschland - keinen Neuanfang geben koennen.

Mit freundlichen Gruessen

Joerg Tauss


Von:    MdB Buero Kaspereit, INTERNET:sabine.kaspereit@mdb.BUNDESTAG.dbp.de
Datum:    09.06.99 15:09

Betreff:RE: Offener Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen fuer Ihre Mail vom 8.6.1999. Ich kann Ihnen mitteilen,
dass ich Ihre Bedenken und Forderungen in Hinblick auf die weitere Entwicklung
Jugoslawiens teile und der Ueberzeugung bin, dass eines der wichtigsten
Ergebnisse des Kosovo-Krieges die Unterstuetzung der Demokratisierung
Serbiens sein muss.
Natuerlich habe auch ich darueber nachgedacht, wie sich die Bombardements
auf die Innenpolitik Jugoslawiens auswirken. Und ich kann Ihnen versichern,
dass ich, wenn ich eine andere Moeglichkeit zur Beendigung der Vertreibung
und des Voelkermordes im Kosovo gesehen haette, diese voll und ganz unterstuetzt
haette.
Besonders fatal ist dabei in der Tat die Auswirkung auf die serbische
Opposition. Diese wird bei einer Befriedung des Balkans eine wesentliche
Rolle spielen muessen und ist in der Tat durch den Krieg geschwaecht worden.
Das ist umso tragischer, als die mangelnde Unterstuetzung der Opposition
auch durch die westlichen Staaten in den Jahren vor dem Krieg ein grosser
Fehler war und Milosevic auch gestaerkt hat.
Ich teile die Ansicht der Bundesregierung, dass die Unterstuetzung der
Demokraten in Jugoslawien fuer den Friedensprozess entscheidende Bedeutung
hat und nun, wenn die Waffenruhe durchgesetzt werden sollte,vorangetrieben
werden muss. Das ist ein wesentlicher Teil der Politik der Regierungskoalition.
Wenn Sie hierzu weitere Informationen wuenschen, bin ich gerne bereit,
Ihnen diese zukommen zu lassen.
Mit freundlichen Gruessen

Sabine Kaspereit, MdB

 


Per e-mail16.6.99

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre e-mail vom 9. Juni 1999.

Die ohnehin bereits schwierige Lage der politischen Opposition in Serbien hat sich im Laufe der NATO-Intervention noch weiter verschlechtert, weil sie dem Milosevic-Regime einen Vorwand bot, die wenigen noch vorhandenen unabhängigen Medien gleichzuschalten und Oppositionelle mundtot zu machen. Jetzt, nachdem durch die Resolution des UNO-Sicherheitsrates die Voraussetzungen für eine friedliche Regelung des Kosovo-Konfliktes geschaffen worden sind, ist zu hoffen, daß sich im serbischen Volk die Erkenntnis durchsetzt, daß man dieses Ergebnis bereits im März ohne Opfer und ohne Zerstörungen durch die Unterschrift unter den Vertrag von Rambouillet hätte haben können. Milosevic hat sich nicht nur durch die systematische Vertreibung, Folter und Mord an Kosovo-Albanern schuldig gemacht, er trägt letztlich auch die Verantwortung für die vielen zivilen Opfer und Zerstörungen in Serbien. Es ist zu hoffen, daß das serbische Volk hieraus baldmöglilchst die politischen Konsequenzen ziehen kann. Denn eines ist jetzt schon klar: Mit Milosevic wird es weder im Kosovo noch in Serbien Stabilität geben können. Kein Kosovo-Albaner wird bereit sein, sich mit seinem eigenen Schänder an einen Tisch zu setzen, um über Wiederaufbauhilfe und zukünftige Autonomie zu verhandeln. Es muß sichergestellt werden, daß die von der internationalen Staatengemeinschaft geplante Wiederaufbauhilfe dem Milosevic-Regime in keiner Weise zugute kommt.

Durch die Sicherheitsratsresolution wird eine neue Friedensordnung für die gesamte Region eingeleitet. Der Kosovo-Krieg muß der letzte Balkan-Krieg gewesen sein. Allen Staaten der Region, einschließlich der Bundesrepublik Jugoslawien muß die Anbindung in die euroatlantischen Strukturen in Aussicht gestellt werden. Die F.D.P. hat dazu auf ihrem Parteitag in Bremen Ende Mai 1999 ein umfassendes Konzept verabschiedet, in dem in Ziff. 2 u.a. gefordert wird, der Bundesrepublik Jugoslawien den Weg nach Europa offenzuhalten. Eine Kopie des Beschlusses füge ich bei.

Abschließend noch ein kleiner Hinweis: In der Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 1.6.1999 findet sich noch ein Artikel, der Sie interessieren und Ihren serbischen Freunden zeigen dürfte, daß die Serben auch in Deutschland ein Forum besitzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Gerhardt

 

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